Caroline wohnt am Ufer der Oder in einer umgebauten Möbelfabrik, wie mir die Besitzerin der Gebäude, Frau Lucas, so nett erklärt, während sie mich zum Frühstück ins Café einlädt, wozu es ein heimisches Getränk, eine Mischung aus Himbeersaft und Limonade, nämlich rote Brause, gibt. Frau Lucas hat das Familienunternehmen, das 1894 von ihrem Großvater gegründet wurde, zur Zeit der Wiedervereinigung übernommen, oder genauer: sie hat die Gebäude 1993 zurückerhalten, nachdem sie die dafür notwendigen Schritte bei der “Treuhand” eingeleitet hatte, jener Anstalt, die für die Privatisierung und Umstrukturierung der DDR-Unternehmen zuständig war. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Familie Gerstenberg enteignet und ihr Besitz ging in die Hände des kommunistischen Regimes in Ostdeutschland über. Wie viele der “großen Kapitalisten” fand sich die Familie so in einem Umsiedler-Lager in Ostdeutschland wieder. Das war 1953. Frau Lucas war damals neun Jahre alt und kann sich gut erinnern. Als sie wieder die Zügel in die Hand nimmt, vierzig Jahre später, sind die tausenden Arbeiter der Tischlerei verschwunden und nur das Gebäude war übrig. « Es mußte renoviert werden, so konnte es nicht bleiben », sagt Frau Lucas während sie mich durch das Gelände führt. Einiges ist verschwunden, so zum Beispiel der marode Schornstein der Fabrik. Anderes wurde restauriert, wie der Ausstellungsraum mit den zahlreichen Fenstern, der 1911 erbaut und 1998 wiederhergestellt wurde. « Aber dafür braucht es viel Geld und das ist nicht immer leicht. » Die Besetzung der Gebäude versteht sich halb kommerziell halb kulturell, mit einem regen Vereinsleben, wie die Theaterschule, in der man sich noch bis Ende August fürs neue “Schuljahr” anmelden kann. Trotz des Reizes der Örtlichkeiten ist es manchmal schwierig, interessierte Geschäfte zu finden. Frau Lucas überlegt, eine polnische Lebensmittelkette in der Halle anzusiedeln, in der Aldi es nicht geschafft hat, sich dauerhaft zu etablieren. « Vor allem träume ich davon, eine internationale Jugendherberge am Oderufer zu eröffnen », gesteht mir die Inhaberin der Gebäude. Um die sechzig Betten an der Oder, einen Katzensprung vom Grenzübergang entfernt, über den man von Frankfurt nach Słubice gehen kann, und das Ganze in einem industriellen Umfeld vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Ziemlich reizvoll! Bleibt die Suche nach geeigneten Investoren, die bereit sind, eine solche Initiative zu unterstützen… Ein erster Schritt in Richtung internationale Herberge? Frau Lucas vertraut mir die Schlüssel des Hauses an, in dem sich das Theater und weitere Büros und Ateliers befinden. Mehrere Räume stellt sie uns vertrauensvoll zur Verfügung, um die Teilnehmer des Begegnungstags unterzubringen. Eine schöne Geste gegenüber dem Veloblog!
3 Kommentare zu "Die Gerstenberger-Höfe der Frau Lucas"
Glace, “rote brause”, c’est le début de la cure de désintox?…Merci Madame Lucas, pour le véloblog.
Frank J. am 13. August 2007 um 14:18
J’ai oublié quelque chose d’important. Sehr geehrte Frau Charlotte Noblet, eine kleine Anmerkung von uns zu „Aldi“. Hinterlasse einen Kommentar
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