Von Beginn an habe ich euch nie etwas darüber erzählt, wie das Veloblog eigentlich funktioniert. Und ich lege euch eine kleine Geschichte nach der anderen vor, die dann von einem Team von jungen engagierten Leuten ins Deutsche und Polnische übersetzt werden, unterstützt durch einen anbetungswürdigen Webmaster. Wir arbeiten nicht nach einem 3×8-Schichtsystem, aber fast. Wenn das Veloblog ruft… Aber in letzter Zeit wurde eine Pause wirklich nötig: Meine Fähigkeiten, eine Geschichte nach der anderen zu hören und sie dann für euch auf nette Art und Weise nieder zu schreiben, waren erschöpft. Ich brauchte Schlaf und ein bisschen Ruhe. Die Entscheidung war gefallen: In Eisenhüttenstadt, der nächsten Etappe meiner Reise, nehme ich eine Pension und strecke alle Viere von mir. Allerdings musste ich die Stadt der Stahlindustrie, von der mir schon so viel erzählt worden war, erst einmal erreichen. Erbaut wurde sie in den 60er bis 90er Jahren, um das Modell par excellence einer sozialistischen Stadt in der DDR zu werden. Ein Abenteuer, an das sich Roswytha, die ich flussaufwärts in Groß Bademeusel getroffen hatte, gut erinnert: Viele junge Paare wollten nach Eisenhüttenstadt, weil man dort eine völlig neue Wohnung ebenso wie eine Arbeit, meistens beim EKO Stahl Kombinat, bekam. Was will das Volk mehr? Es lag nicht an mangelnder Neugier, aber ich habe trotzdem sehr viel Zeit gebraucht, um in Eisenhüttenstadt anzukommen. Und zwar, weil ich mich in den vorstädtischen Schrebergärten entlang der Oder verfahren habe. Sehr nett, mit Blumen, Pflaumen und Äpfeln für denjenigen, der nach dem Weg fragt, ohne den kleinen Stolz der Besitzer zu vergessen: die drei Störche, die auf dem Strommast sitzen und nur darauf warten, fotografiert zu werden. Ein netter kleiner Umweg und dann erreiche ich endlich den Stadtteil Fürstenberg. Augenscheinlich nicht besonders sozialistisch. Es ist jenes Dorf, welches existierte, bevor Eisenhüttenstadt mit einem Mal aus dem Boden gestampft wurde. Und hier fühlt man sich auch nicht zu Eisenhüttenstadt gehörig, wie man mir zu verstehen gibt, als ich frage, wo denn das Zentrum sei. Und es gibt auch kein richtiges Zentrum in Eisenhüttenstadt. Hier ist die Rede von Häuserblöcken: Von Block 1 bis Block 7. Um es kurz zu machen: Ich erfahre, dass sich das Touristenbüro in der Lindenallee, zwischen Block 1 und Block 4 befindet. Mein Orientierungssinn braucht ein wenig Zeit, um sich daran zu gewöhnen, aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an… Und von dort bin ich dann in der Gartenstraße, im Stadtteil Schönfließ, gelandet, dem anderen Dorf, das es bereits vor der Erbauung der sozialistischen Stadt gegeben hat. Dort erwartete mich eines der letzten freien Zimmer in der Stadt, denn viele seien von Monteuren und Ingenieuren belegt, die das Wochenende über in Eisenhüttenstadt blieben. Ich hatte ja keine Ahnung von meinem Glück… Nach so wunderbaren Begegnungen, nach Gastgebern, die alle so verschieden, aber immer so zuvorkommend waren, hatte ich nun das Gefühl, mich bei der Hexe aus der Rue Mouffetard einquartiert zu haben! Gefragt zu werden, ob ich Hausschuhe hätte, ohne sich vorher nach meinem Namen zu erkundigen, über Brille und Zeitung hinweg taxiert zu werden: und das alles für ein bisschen Erholung! Vielleicht bin ich ja durch die vergangenen Tage verwöhnt worden, aber ich trauere den kleinen Geschichten und der netten Gesellschaft fast ein wenig nach – ich, die ich doch absolut Ruhe nötig hatte! Und das Schlimmste ist, dass das hier gut und gerne eine Geschichte wert ist… die Geschehnisse aus der Pension in der Gartenstraße. Ich habe der Besitzerin und Meisterin der Gerissenheit versprochen, dass ich ihre Pension auf unserer Seite in drei Sprachen beschreiben werde. Umsonst? Und schon wird die Stimmung freundlicher und ich mache einen Rundgang durch das Haus. Sechs Schlafzimmer, alle mit Fernseher und Teppichboden. Die Badezimmer mit Fußbodenheizung etc. etc. Es gibt nichts auszusetzen, alles ist sauber. Kinder sind auch willkommen, wenn sie aber ins Bett machen, müsst ihr die Matratze bezahlen. Die Nacht kostet 19 Euro (ziemlich teuer für die Ecke hier) und drei Euro extra fürs Frühstück. „Sie können vier Euro schreiben, bei den Preissteigerungen…“, sagt mir die Besitzerin, einer Ameise gleich… Aber lasst uns diese „Gartengeschichten“ mit einer kommunikativeren Anmerkung abschließen: Die kleinen Schrebergärten in den Diehloer Bergen, im Westen der Stadt, sind wirklich einen Abstecher wert, auch wenn die Wege für unerfahrene Mountainbikefahrer ziemlich heikel sind. Oben auf dem Berg, von der Rodelbahn aus, hat man einen wirklich genialen Ausblick über die Stadt. Dort kann man endlich auftanken…
9 Kommentare zu "Gartengeschichten: Ankunft in Eisenhüttenstadt"
Oh je, das hört sich wirklich erholsam an. Da kann ich dir nur noch bon courage wünschen, wenn das so weitergeht… ;-)
Jörg Gloss am 7. August 2007 um 09:38
Was Du bis jetzt geleistet und erreicht hast, ist bewundernswert. Vielleicht gibt es einmal über die Reise ein kleines Buch.
Andreas am 7. August 2007 um 20:51
In Ratzdorf wäre ein Aufenthalt bzw. Besuch in der Tanz- und Gastwirtschyaft “Kajüte” zu empfehlen. Dort ist einfach eine gute Atmosphäre und kulturell geht dort auch einiges mehr als quasi gegenüber im “Begegnungszentrum” Werft. Daneben gibt es auch einen Kulturkreis Neißemünde mit monatlichen literarischen Veranstaltungen, die mitunter recht interessant sind. Naja und gegenüber gab es mal das Dörfchen Schiedlo, das 1908 wegen ständiger Überschwemmungen aufgelöst wurde. Aus diesem Anlass entstand damals ein Büchlein, das es inzwischen wieder gibt. Also sehr geschichtsträchtiger Boden dort und schön, dass Charlotte sich da umgeschaut hat!! Viele Grüße und alles Gute - Andreas.
Andreas am 7. August 2007 um 21:00
Der Jörg hat ganz Recht!Auch, wenn es in Guben keine Hüte mehr gibt, ziehe ich einen solchen vor Charlotte! Es haben sich schon andere hierher auf den Weg gemacht, doch was sie dazu zu Papier brachten, ist eigentlich nur als schlechtes Beispiel gut. Siehe Wolfgang Büscher “Deutschland - eine Reise”. Seine Erfahrungen mit der Region sind wahrscheinlich daher so negativ ausgefallen, weil er sich nicht einen Deut so viel Zeit genommen hat und so überaus interessiert war, wie Charlotte es ist. Das muss einfach mal gesagt werden… Viele Grüße aus Guben - Andreas. Bonne nuit quand même!… De toute façon, en matière de pâté, il n’y a pas mieux que la France :) Eh bien… On ne gardera donc pas le 13 Gartenstrasse dans nos petits papiers. J’espère que tu pourras quand même profiter de cette pause bien méritée : c’est vrai qu’il faut une certaine dose d’énergie pour s’imbiber de l’ambiance d’un lieu, écouter les histoires et nous les conter ensuite. Alors merci pour tout ça, bon repos et à très très bientôt, j’espère.
Valérie am 9. August 2007 um 10:14
Il y a toujours au moins une sorcière par voyage…On en a eu aussi, je te rassure, pendant notre périple hellénique ; de retour, je me précipite sur ton blog, je vais essayer de tout rattraper!
Heidrun am 9. August 2007 um 17:41
Hallo Charlotte, meinen Respekt für diese Leistung in allem! Du bist in der Pension in der Gartenstasse ganz offenbar auch einem Menschentypus begegnet, der auch in unserer Gegend nicht ganz untypisch ist. Als ich von Sachsen hierher zog hatte ich auch Schwierigkeiten mit dem sehr herben Charme mancher “Eingeborener”. Hinterlasse einen Kommentar
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