Dez
21
Einsortiert unter (Allgemein) von Charlotte am 21-12-2007

Wegfall der Passkontrollen an Oder und Neiße: Polen tritt dem so genannten Schengen-Raum bei und die deutsch-polnische Grenze ist keine Schengen-Außengrenze mehr.

Es wird in der Regel nicht mehr am Grenzübergang kontrolliert, sondern entlang der Grenze Streife gefahren. Und wie Deutschland, Frankreich und die andere Schengen-Länder hat jetzt Polen auch Zugang zu einer Vielzahl gespeicherter Daten im Schengener Informationssystem I (SIS I), welches ab März 2008 auch biometrische Daten enthalten wird (SIS II).
Aber erst 2010 soll der Arbeitsbinnenmarkt Realität werden, dann dürfen die Polen ohne Arbeitserlaubnis im Schengen-Raum arbeiten.

Um zu wissen, was die Bewohner und Akteure der Grenzregion von diesen Änderungen halten, hat das Veloblog ihnen noch einmal das Wort erteilt. Etwa dreißig Personen mit sehr unterschiedlichen Profilen und Wohnorten entlang der Grenze, mal in Deutschland, mal in Polen, die ich im Sommer im Rahmen des Veloblogs getroffen hatte, habe ich jetzt gefragt:
- Wie wird sich Ihr Leben nach dem Wegfall der Grenzkontrollen ändern?
- Denken Sie, dass die „Öffnung der Grenze“ eine Wirkung auf die deutsch-polnischen Beziehungen haben wird?

Das ergab ein buntes Patchwork an Reaktionen, das hier sowie in der deutschen und französischen Presse präsentiert wird. Dieser wurde es dargeboten in der stillen Hoffnung, dass daraus eine Art grenzüberschreitender Berichterstattung in Zusammenarbeit der Grenzregionen entsteht.

Viel Spaß beim Lesen!

Rebecca Smith

 

Rebecca Smith

Grosshennersdorf, Mitarbeiterin des Fachbereiches Sprachen an der Hochschule Zittau/Görlitz
Als US-Amerikanerin freue ich mich, ohne neue Stempel zu FreundInnen und/oder zum Einkaufen über die Grenzen nach Polen und Tschechien gehen und fahren zu können. Sonst bis zu sechs neue Stempel pro Fahrt - da wird der Pass schnell voll! Einige hier haben Angst wegen Sicherheit und Arbeit. Ich persönlich bin für sinnvolle Freiheit und offenere Grenzen.


Andreas_Damisch

 

Andreas Damisch

Grosshennersdorf, Künstler, Musik und Skulpturen
Für mich als Österreicher ist es hier wie Heimat. Mit der Monarchie wurde schon einmal der Versuch gestartet in Richtung Europa, und so ist es in Österreich ganz normal, wenn jeder dritte Name tschechisch, ungarisch oder sonstwie “urösterreichisch” klingt. Als ich von den vielen volksübergreifenden Initiativen an der Grenze hörte, bekam ich besonders Lust hierher zu ziehen und hab es noch kein einziges Mal bereut!


Pawel Sosnowski

 

Pawel Sosnowski

Görlitz, Fotograf
Für mich als Pole, der in Deutschland wohnt, ändert sich bei Grenzkontrollenwegfall eigentlich nicht viel. Die einzige sichtbare Sache sind keine Kontrollen an der Grenze. Beruflich und privat gesehen ist es sehr gut. Ich muss in der Zukunft, was ich hoffe, keine Zeit einplanen für Wartezeiten an der Grenze. Es wird sehr praktisch sein und vor allem schneller, was in meiner Arbeit als Fotograf bei der Zeitung manchmal sehr wichtig ist.


 

Miroslaw Swiecicki

Zgorzelec, Krankenwagenfahrer
Die Ostdeutschen wollen lieber die Grenze, sie haben Angst, weil es Leute gibt, die gehen nach Deutschland und stehlen die Waren. Viele sind Tschechen, das habe ich im polnischen Fernsehen gesehen. Aber die Deutschen haben Angst vor den Polen. Und die Polen denken, dass es ohne Grenze gut ist. Es gibt nur ein Problem: Die deutschen Leute haben ungefähr zwei- oder dreitausend Euro pro Monat. Die polnischen Leute nur zwei- oder dreihundert Euro. Das muss sich auch ändern.


Wolfgang Martin

 

Wolfgang Martin

Mühlrosen bei Tagebau Nochten, Angestellter
Die Tagebauentwicklung wird eigentlich von der Öffnung gar nicht beeinflusst. Die Firma Vattenfall, die hier in Nochten den Tagebau betreibt, ist auch überregional tätig und betreibt Tagebau auch in polnischen Regionen. Dort finden schon gewisse Kooperationen statt. Dass zusätzliche ausländische Arbeitnehmer hierher kommen, halte ich für sehr unwahrscheinlich, weil Nochten seine Bezugsdauer hat und weil es keine Absprachen gibt.


Gabriele Schönfelder

 

Gabriele Schönfelder

Bad Muskau, Designerin
Das ist eine Öffnung, wie wenn sich eine Tür öffnet von zwei guten Nachbarn, die sich nun schon länger kennen, immer mal einen Kaffee zusammengetrunken haben, aber eigentlich noch nicht so viel voneinander wissen. Nun fällt der Gartenzaun weg und sie haben einen gemeinsamen Garten! Es ist eine Chance, intensiver die Geschichte aufzuarbeiten und die Gegenwart zu leben: Dieser Prozess muss von der Politik und engagierten Bürgern unterstützt werden - es ist kein Selbstlauf.


Wojtek Staniewski

 

Wojtek Staniewski

Łęknica, Mitarbeiter am Soziokulturellen Zentrum Turmvilla in Bad Muskau
Ich werde meinen Ausweis nicht mehr an der Grenze zeigen. Das habe ich zwei Mal pro Tag gemacht, weil ich in Łęknica wohne und in Bad Muskau arbeite. Bei den Jugendbegegnungen habe ich keinen Stress mehr, ob meine Teilnehmer die Dokumente nicht vergessen haben. Die Kinderprojekte werden nicht mehr von der Bürokratie des Grenzschutzes abhängig sein. Der Muskauer Park wird nicht mehr geteilt und die Neiße wird (wie zu den Fürst-Pückler-Zeiten) Innen-Fluss werden. Ich werde nicht mehr die Laune der Grenzkontrolle und den Terror des „In-Polen-tanken“ Staus erleben.


Andreas Peter

 

Andreas Peter

Guben-Gubin, Historiker
Die Öffnung wird die deutsch-polnische Beziehungen positiv beeinflussen, obwohl es Leute gibt, die ängstlich sind und sich um die Kleinkriminalität sorgen. Da muss man erstmal abwarten, aber der Bundeskriminalschutz wird sicherlich nicht mit einem Schlag hier weg sein und dieses Problem wird sich in Grenzen halten. Der Austausch auf wirtschaftliche und kulturelle Art wird auf alle Fälle zunehmen und hier in Guben-Gubin werden die Grenzgebäude wahrscheinlich nicht leer stehen: Dann zieht jemand anders ein und vielleicht gibt es wieder ein Café dort, Café Schönberger.


Irmgard Schneider

 

Irmgard Schneider

Guben-Gubin, Vorsitzende von Pro Guben e.V.
Wir werden wieder schön gradaus gehen können, ohne Bogen zu machen, um zur Grenzkontrolle zu kommen, wir können dann gehen, wie wir möchten. Das Verkehrssystem wird sich sicher ändern. Es kann nicht nur auf die Gubiner Straße gefahren werden, sondern vielleicht auch über die Frankfurter Straße. Einfach wie früher, als ich noch Kind war.


Werner Bode

 

Werner Bode

Ernst-Thälmann-Siedlung, Rentner und Kommunist
Als Anwohner unmittelbar an der Grenze wird sich mein Alltagsleben kaum ändern: wer will kann jetzt schon rüber. Für die großen Gauner und Schieber wird es leichter ihre unsauberen Geschäfte zu machen. Sie werden in Zukunft durch Zufall erwischt oder bei gezielter Fahndung und etwaiger Mithilfe der Bevölkerung gestellt. Man wird etwas wachsamer sein müssen. Herr Schäuble kann eine Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr gewährleisten und eine absolute schon gar nicht. Versprechen kann er sie, aber nicht halten.


Peter Voigt

 

Peter Voigt

Ziltendorf, Hartz IV Empfänger
Jeden Tag sind die Zeitungen voll von Überfällen und Einbrüchen. Das kann man dann alles den Polen in die Schuhe schieben. Alle haben Angst vor der Zunahme der Kriminalität. Ich nicht! Das, was mir passiert ist, wurde schon in der BRD verübt: 3x ausgeraubt, 1x Wohnungseinbruch und 2x zusammengeschlagen, jedes Mal deutsche Staatsbürger.


Petra Mallat

 

Petra Mallat

Forst, Erzieherin und im Schülerfreizeitzentrum der Stadt tätig
Durch die wegfallenden Grenzkontrollen wird es noch schneller gehen, zu unseren Freunden und Sportkameraden nach Lubsko zu kommen. Die Preise für Sprit werden sich ganz schnell den hiesigen anpassen und vielleicht gelangt dann geschriebene Post schneller in die Nachbarländer. Vielleicht wird dann auch ein wenig Bürokratie abgebaut, wenn man deutsch-polnische Treffen organisiert und Fördermittel beantragen will oder muss.


Hans Kremers

 

Hans Kremers

Familienzentrum Grießen
Mein bzw. unser Leben wird sich nach Wegfall der Grenzkontrollen nicht verändern. Der Wegfall der Kontrollen lässt demnächst noch eine bessere, schnellere Kontaktaufnahme zu den bereits bestehenden, sehr guten deutsch-polnischen Beziehungen (insbesondere zu Kindergärten und Schulen) zwischen dem Haus der Familie e.V. in Guben und unserem Familienzentrum hier in Grießen zu. Wir arbeiten weiterhin fleißig dran.


Hans-Joachim Musick

 

Hans-Joachim Musick

Kietz, Hartz IV Empfänger
Die Öffnung der Grenze bedeutet erstmal für uns gar nichts. Vielleicht wird es für die älteren Leute aus der DDR gut, die drüben gearbeitet haben und immer noch Kontakte in Küstrin haben. Sie können sich jetzt gegenseitig besuchen ohne Kontrollen. Wir werden uns mehr zusammen fühlen in der Nachbarschaft. Viele in Deutschland sprechen von einer steigenden Kriminalität, aber das kann ich mir nicht ganz vorstellen.


 

Andre Schneider

Kietz, Fischer und Kapitän für Touristen
Für uns wird die Öffnung einerseits gut: Wir können dann Bootsfahrten in die Warte anbieten, in Polen ohne Kontrollen rein fahren, was den Touristen, unseren Gästen, sicher gefallen wird. Aber andererseits wird es vielleicht für uns dann schwieriger. Wir leben von dem Grenzverkehr, von den Leuten, die in Polen einkaufen gehen. Und mit der Öffnung werden bestimmt die Preise drüben steigen und die Kundschaft sinken. Mal abwarten.


Michael Kurzwelly

 

Michael Kurzwelly

Vorsitzender des Słubfurter e.V.
Die Öffnung der Grenze wird in Frankfurt-Słubice die Idee verstärken, dass es nicht um zwei Städte, sondern um einen gemeinsamen öffentlichen Raum geht. Die Schranken verschwinden, es wird einfacher hin und her zu fahren. Jetzt wäre ein grenzüberschreitender Bus oder Straßenbahn willkommen.
Hier sollte sich ein Raum entwickeln, wo man nicht weiß, ob man in Deutschland oder in Polen ist. Wie im Norden, wo die Stettiner in Deutschland Grundstücke kaufen und Dörfer schon halb deutsch, halb polnisch bewohnt sind. So sollte eine Grenzregion sein: gemischt.


Leszek Ludwiniak

 

Leszek Ludwiniak

Gryfino, Leiter der Bildungs- und Sozialabteilung der Stadt
Polens Beitritt zum Schengener Raum wird meiner Meinung nach nicht viel ändern, aber die deutsche Seite hat wieder eine große Angst. Persönlich werde ich noch schneller von Gryfino nach Szczecin kommen, über Mescherin und Rossow und dazu ohne die peinliche Ausweis- und Kofferkontrolle.


Inge Bocklage

 

Inge Bocklage

zuständig für den Bereich Altwarp bei Adler Schiffe
Die Öffnung ist eine Erleichterung: Wir sparen Zeit, weil wir nicht mehr zu den Grenzübergängen fahren müssen, wir können anlegen, wo wir wollen. Aber wir werden bestimmt weniger Kunden haben. Es wird mehr Straßenverbindungen geben und die Leute werden mehr das Auto benutzen. Also, wirtschaftlich gesehen wird bestimmt die Öffnung für uns doch negativ sein. Aber die deutsch-polnischen Beziehungen werden sicher positiv beeinflusst, man wird sich näher kommen. Ich kann nicht sagen warum, es ist mein Gefühl.


Pauline Dumontet

 

Pauline Dumontet

französische Grenztouristin im Sommer
Die Bewohner werden es sicher einfacher im Alltag haben und vielleicht „die andere Seite“ anders betrachten. Ende eines Grenzrituals und Gewinn einer neuen Freiheit? Auf alle Fälle werden die wirtschaftlichen Austausche gefördert und mit der Zeit werden die Bewohner wahrscheinlich selbst mobiler. Und wenn man die Grenze hin und her übertreten darf, werden die bisher üblichen Übergänge dann weniger frequentiert.


Yan Wang

 

Yan Wang

chinesische Studentin, Usedom-Touristin im Sommer
Für meine Reise auf Usedom habe ich, eine in Deutschland studierende Chinesin, ein Visum im polnischen Konsulat in Leipzig beantragt. Das kostete mich einen Halbtag zu warten und 50 Euro. Aber eigentlich lohnte es sich, weil die Reise an die Grenze ganz toll war. Swinoujscie ist eine Stadt voller Energie. Dort laufen die Leute sehr oft hin und her. Die Polen sind nett und bereit für alle Besucher. Wenn die Grenze sich öffnet, steht Polen irgendwann wieder auf meinem Reiseplan!


Ludovic Fresse

 

Ludovic Fresse

Berlin, französische Vorsitzender von Deltoidea e.V.
Der Wegfall der Grenzkontrollen hat für die europäischen Bürger vor allem einen symbolischen Wert, der dennoch nicht zu unterschätzen ist - umso mehr, da die Oder-Neiße-Linie lange und oft heftig umstritten war! Die deutsch-polnische Grenze, wie früher die deutsch-französische Grenze, kann zu einem Begegnungsort werden, nachdem sie Jahrzehnte lang eine Trennung bzw. ein Hindernis bildete. Das ist eine gute Nachricht für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern (die sich in der Zukunft nicht mehr systematisch auf den zweiten Weltkrieg beziehen werden) und für die Nachtzugreisenden, die in Frankfurt (Oder) von rücksichtslosen Zollbeamten nicht mehr geweckt werden.




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